Klub der Löwinnen Teil 3 von Spectator2: mailto: Propertiusweb.de Malú ist als Löwin voll akzeptiert und hat auch sonst einige Erfolge. Murat schikaniert sie jedoch weiterhin und auch Carlos beziehungsweise dessen Freunde probieren es noch einmal. Dies lässt sie als echte Löwin nicht ungestraft. ------------------------------------------------------------------------------- ------------------------------------------ Malú schaute sich am Samstag frühmorgens einige Rezepte für Tapas im Kochbuch ihrer Mutter an. Kartoffeln mit einer Sauce aus Knoblauch und Brot und marinierte Hähnchenteile erschienen ihr halbwegs einfach und bestanden zudem aus Zutaten, die es in Deutschland in fast jedem Supermarkt zu kaufen gab. Ihre Mutter mischte sich bei der Zubereitung mehr ein als es Malú recht war, doch immerhin brachte sie mit deren Hilfe ein brauchbares Beispiel südspanischer Kochkunst zustande. Lea bot sich wieder an, Malú zu fahren und beim Tragen zu helfen. Die Eltern freuten sich, dass das Mädchen schnell Freundinnen gefunden hatte. Zu ihnen war Lea freundlich und sprach nicht über den Hintergrund der Löwinnen.   Laura, Lisa und Lea schmeckten Malús Tapas. Gemeinsam tranken die Mädchen den am Vortag erbeuteten Whisky mit Cola vermischt und schauten einen Film an, diesmal keinen Actionfilm mit der gemeinsamen Lieblingsschauspielerin, sondern einen japanischen Fantasyfilm mit dem Titel Kunoichi – Lady Ninja. Malú lieh sich Leas I-Phone, um auf die Zusammenfassung auf Spanisch im Internet zu lesen. So verstand sie es mit nur zwei Nachfragen. „Mal was Neues. Gute Idee, Lisa“, fand Lea nach dem Film. Auch den anderen hatte der Film gefallen, vor allem natürlich wegen der Kämpfe der weiblichen Ninjas.   Laura berichtete später, als der Rest des Whiskys mit Cola und Eiswürfeln versetzt wurde, von einer Bekannten aus ihrem Taekwondokurs, die sie für geeignet hielt. „Hm, ich hab ja erzählt, wie ich es bei Malú rausgefunden habe“, kommentierte Lea. „Wie denn?“, wollte Malú wissen. „Zuerst musst du eines wissen: Ich habe mir einige Karateschulen angeschaut und mich für die härteste entschieden, die ich fand. Über die Hälfte aller Mädchen und fast ein Viertel aller Jungs sind bei uns nach weniger als drei Monaten ausgestiegen. Wenn du das erste Training überstehen würdest und Lust hättest, wiederzukommen, dann war die Chance schon einmal groß. Ich habe dir auch beim Kämpfen zugeschaut und gesehen, dass du Potential hast. Dann konnte ich testen, wie du reagieren würdest, als ich gesagt habe, dass mein Hobby ‚Jungen verprügeln‘ ist. Dann die Sache mit deinem Bruder. Dann habe ich mir gedacht, den musst du selbst schaffen. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder, du wärst sauer gewesen wegen der Prügel oder du würdest ihn wirklich verdreschen.  Tja, manche Leute muss man zu ihrem Glück zwingen. So habe ich gesehen, du kannst nicht nur etwas, du hast auch die richtige Einstellung – und das, Laura, musst du bei deiner Freundin auch rausfinden. Dann natürlich, beim ersten Training mit uns wird sie sich ein paar blaue Flecken und andere Verletzungen holen. Wenn sie das durchsteht und daraus lernt, dann ist sie unsere Frau, wenn nicht, dann eben nicht.“ „Ja, danach ich sage, danke Lea. Wenn du mich nicht geswungen hättest, dann hätte ich nie gedacht, ich kann Carlos so leicht k.o. schlagen.“   Murat schikanierte Malú während der nächsten Woche weiterhin in einer Weise, dass sie es nicht ignorieren konnte. Nicht nur machte er abfällige Bemerkungen, er schüttete auch ihre Schultasche aus und griff ihr einmal unter den Pullover. Lea bemerkte es und sprach Malú in einer Pause darauf an: „Ich kann das Problem für dich lösen, aber ich glaube, es ist besser, du versuchst es selbst.“ „Werde ich. Meinst du, ich habe Chancen?“ „Ja. Wenn ich glauben würde, du hättest keine, hätte ich es ihm schon gezeigt, wenn ich glauben würde, du hättest gar kein Problem, dann hätte ich es so gemacht wie bei deinem Bruder. Vielleicht gewinnst du, aber einfach wird es nicht. Ich rate dir eins: Kämpfe die nächsten Male öfter gegen Laura, dann lernst du, dich gegen Taekwondo zu verteidigen.“ „Okay.“   Laura war einverstanden. Nach wie vor wurmte sie Malús erfolgreiche Beinattacke in ihrem ersten Kampf, weshalb sie eine zusätzliche Motivation hatte, sich gegen die Neulöwin keine Blöße zu geben. Laura war stärker, beherrschte mehr Techniken und war ebenso schnell wie Malú, sodass diese nun, da die Freundin sie einschätzen konnte, absolut chancenlos war. Dennoch motivierte sie sie: „Der Typ kennt dich nicht. Meiner Meinung nach – ich hatte noch nie mit ihm zu tun, aber ich weiß, dass die Lea gut darin ist, die Chancen gegen bestimmte Gegner richtig einzuschätzen, also wird es wohl stimmen, wenn sie sagt, du kannst gewinnen oder nicht – solltest du so tun, als ob du schlagen würdest, dann aber treten. Dein Tritt ist wirklich gut, aber dein Schlag, sorry, ist wie von einem kleine Mädchen.“ Malú ärgerte sich über die Bemerkung: Immerhin hatte ihr Schlag gereicht, um ihren Bruder k.o. zu schlagen und den Kampf in der Au endgültig zu entscheiden. Sie musste allerdings zugeben, dass sie, egal ob mit der Faust oder mit der Handkante, mehrere Ligen tiefer spielte als ihre Freundinnen. Lea war nicht entgangen, dass Malú gekränkt war: „Löwinnen sind treue Freundinnen, aber sie schenken einander nichts – im Kampf nicht und bei der Kritik nicht. Und, Tatsache, du musst an deinem Schlag arbeiten. Sobald ein Gegner weiß, dass er bei dir in erster Linie auf die Füße achten muss, während du mit den Händen wenig machst, ist es viel leichter für ihn. Und du kannst zulegen, das Potential hast du.“   Lea meinte später auch, Malú würde vermutlich eher gegen sie selbst als gegen Laura gewinnen: „Gegen mich hast du zwei Nachteile, Kraft und Repertoire, und einen Vorteil, nämlich Schnelligkeit. Gegen Laura hast du die gleichen Nachteile, aber sie ist genauso schnell wie du. – Klar, bis du das erste Mal gegen eine von uns in einem ernsthaften Kampf gewinnst, wird es mindestens ein Jahr dauern, aber gegen Murat dürftest du bald Chancen haben.“ ‚Mindestens ein Jahr‘, das war der nächste Ansporn für Malú: Sie wollte und würde Lea zeigen, dass sie sich täuschte. Bescheidenheit lag einer Andalusierin nun einmal nicht im Blut, auch wenn die Freundin realistisch gesehen Recht hatte. Und hatte sie nicht Grund zum Optimismus? Sie, Maria Luisa Pérez Macías, hatte vor nun gut zwei Jahren noch kein Wort Deutsch gesprochen – und nun beherrschte sie die Sprache, über die es zuhause hieß, sie müsse wohl in der Ewigkeit gesprochen werden, weil man eine Ewigkeit brauche, um sie zu lernen, immerhin gut genug, dass sie ohne größere Probleme dem Unterricht folgen konnte und es nicht nur verstand, wenn die Freundinnen mit ihr sprachen, sondern auch, wenn sie sich miteinander unterhielten. Sie hatte ihren älteren Bruder nach Belieben dominiert und auch, was Kraft anging, schon deutlich zugelegt: Leas 25-Kilo-Hanteln bereiteten ihr keine Schwierigkeit mehr und sie hob sie auch schon gelegentlich mit einem Arm. „Ich wette mit dir: Es wird weniger als ein Jahr dauern.“ „Okay, Malú: Heute ist der 8. Oktober 2014. Wenn du vor dem 8. Oktober 2015 einen Kampf gegen Laura, Lisa oder mich gewonnen hast, lade ich dich zum Essen ein, wenn nicht, du mich. Okay?“ „Okay.“ Malú schlug ein.   In den letzten Tagen vor dem Praktikum provozierte Murat immer stärker. „Was ist, wenn einer sagt, er kann nicht mehr Praktikum, weil er sich nicht traut“, meinte er etwa einmal im Unterricht. „Oder weil ihm was wehtut oder er sich dreckig macht, zum Beispiel die Malú.“ „Erstens: Ich beantworte Sätze nur, wenn sie vollständig sind. Zweitens steht alles in euren Unterlagen“, kommentierte der Klassleiter. Nach der Schule bot Murat Malú an, sie zu unterstützen. „Ist doch klar, dass du das nicht schaffst. Aber kein Problem. Ne geile Tussi wie du hat ihre Helfer.“ „Halt dein Maul!“ „Ey, mach mal langsam! Ich helf dir auch, scharfe Braut. Kostet nur nen Kuss.“ Er versuchte, sie zu umarmen, doch sie wich aus. „So, einmal zu viel. Leg die Tasche weg und kämpfe!“ „Ich will doch nicht, dass du flennst, ey.“ Malú legte ihren Rucksack zur Seite und attackierte mit dem Bein. Murat wich aus. Er verstand den Ernst der Lage, warf seine Tasche weg und versuchte einen Gegenangriff. Auch Malú konnte ausweichen, ihren Schlag blockte Murat, doch seinen Versuch, sie am Arm zu packen, unterband sie durch ihre Schnelligkeit. Auch Murat war schnell und konnte sogar einmal eine Beinattacke im Ansatz unterbinden. Malú merkte bald, dass ihr dritter Kampf mit einem Jungen in diesem Schuljahr mit Abstand ihr härtester sein würde. Doch sie besann sich auf ihre Stärken: Mit einem schnellen Wechsel von Arm- und Beinattacken trieb sie ihn Richtung Wand. Sie merkte, dass er den Unterschied zwischen ihrer Schlag- und Trittkraft noch nicht erkannt hatte und auf Angriffe von Oben und von unten gleich reagierte. Autsch! – Er hatte mit der Faust ihren Busen gestreift, was sie höllisch schmerzte, doch eine Löwin nahm sich zusammen. Ein Faustschlag, den er blockte, ein Handkantenschlag mit links, dem er auswich, einer mit rechts, den er blockte – und nun war für Bruchteile von Sekunden sein Körper von unten ungeschützt. Malús rechter Fuß knallte punktgenau auf Murats Solarplexus. Der Junge fiel um wie ein nasser Sack, blieb allerdings bei Besinnung. Schon hatte sie ihn jedoch in einer Beinschere fixiert. Er versuchte, sich zu befreien, doch merkte sie, dass die Beinschere ihm wehtat. Zudem hatte sie nun die Hände frei. Ein Handkantenschlag, eine Kralle, ein Würgegriff. „Ergib dich!“, schrie Malú. „Nein!“ Sie verstärkte den Würgegriff und drückte auf den Nerv, sodass er aufschrie. „Hat es wehgetan?“ „Au, ja.“ „Dann gib auf!“ Sie versuchte eine härtere Kralle. „Aua.“ „Muss ich dich töten?“ Sie verstärkte den Würgegriff nochmals. „Au. – Was willst du überhaupt?“ „Dass du mich in Ruhe lässt, keine dummen Sachen mehr von mir sagst und mich nicht mehr anfasst und anmachst.“ „Ja, okay. Ich geb auf.“ Lauter Applaus war zu hören. Malú hatte gar nicht darauf geachtet, wie viele Mitschüler sich um sie gruppiert hatten. „Habt ihr das gehört?“, rief sie. „Ja. Also, du weißt Bescheid, Murat“, rief eine Jungenstimme. „Und du bist ein Schwächling“, schrie ein anderer. „Das kriegst du zurück“, brüllte Murat. „Das macht später aus.“ Malú ließ los und stand auf. „Auf die Knie, Murat!“ Er leistete Folge, worauf sie nochmals Applaus erhielt. Gnädig gewährte sie ihm freien Abgang.   Lea lief sofort auf Malú zu und umarmte die Freundin. „Toll gemacht, 1 A. – Am Samstag gibt es dich als Filmstar zu sehen!“ „Hast du…?“ „Als ich gemerkt habe, es wird ernst, hab ich gefilmt. Ich hab mir gedacht, wenn es sein muss, kann ich immer noch das Smartphone wegstecken und eingreifen. Aber als ich gesehen habe, wie er reagiert, als du ihn zurückgetrieben hast, war mir klar, dass du das in der Hand hattest. Gratulation!“ Sie umarmte sie nochmals. Auch die anderen Löwinnen waren begeistert, als Lea am Samstagabend den Handyfilm von Malús Kampf gegen Murat zeigte. Lisa kommentierte, sie könne durchaus selbst Star in einem Martial-Arts-Film sein: „Nicht nur, wie du kämpfst, auch, wie du auftrittst. Echt stark!“     Die nächste Woche über war Praktikum, sodass Malú Lea nur im Karatetraining und die anderen Klassenkameraden gar nicht sah. Die Gesellen und die beiden Lehrlinge behandelten sie freundlich, aber distanziert und machten sich nur hinter ihrem Rücken leise über sie lustig. Der Meister redete sie zunächst korrekt mit ‚Frau Pérez Macías‘ an, was in ihrem Verständnis eine Titulierung für eine Sechzigjährige war. Fünfmal musste sie ihm sagen, er solle sie duzen. Als ein eingerostetes Tretlager zu entfernen war, wollte der Geselle ihr das nicht zumuten, unterbrach sich aber mehrmals bei der Begründung. „Herr Becker, ich mache hier die Arbeit von Männern, ich will behandelt werden wie Männer. Wenn ich zu eschwach bin, gut, aber ich will versuchen. Und wenn ich nicht gut arbeite, sagen Sie mir.“ Es kostete sie zwar ihre ganze Kraft, doch es gelang ihr, das zerstörte Teil herauszudrehen. Markus, der jüngste Geselle, erklärte ihr später, warum man ein Problem hatte: „Wir hatten vor einem Jahr das letzte Mädchen hier und die hat sich beschwert, weil sie sich belästigt gefühlt hat – und das waren harmlose Sprüche, aber wir haben Ärger gekriegt und sogar die Bullen hier gehabt. Da hat der Chef gesagt, wir sollen bei dir sehr vorsichtig sein.“ „Also, wenn ihr zu mir sagt, Frauen wissen nicht von Technik, kein Problem – ich sage auch viel über Männer. Und wenn einer mich anmacht, dann gibt es Prügel.“ „Na, Minderwertigkeitskomplexe hast du keine.“ „Probiere es nicht aus!“   Ihr größter Erfolg während des Praktikums war am Mittwochvormittag. Sie arbeitete gemeinsam mit Markus an einer Yamaha. Der Geselle brachte die Maschine zwar wieder zum Laufen und konnte ihr erklären, was los war, doch der Motor machte komische Geräusche. Malú ging mit ihrem Handy ins Internet, was ihr Lästereien einbrachte. „Na, willst du deinen Freund um Rat fragen?“ „Claro, mein Freund weiß alles. Nein, ich habe gestern Foto von diesem Motor gesehen.“ „Das haben wir hier besser!“ Er lud ein Foto auf dem Bildschirm. Sie vergrößerte es auf maximal. Stück für Stück schaute sie sich den Motor auf dem Schirm an, untersuchte mithilfe einer Taschenlampe akribisch dasselbe Stück an der Maschine vor ihr und wurde nach wenigen Minuten fündig: Eine der Zündkerzen stand leicht schief. Sie schaute noch genauer und fand heraus, dass eine Schraube fehlte und eine andere locker war. Nachdem sie beide Schrauben befestigt hatte, lief der Motor wieder wie ein Uhrwerk – zumindest war Markus dieser Meinung. „Tolle Frau! Dich können wir auf Dauer hier behalten“, lobte er.   Am Nachmittag rief der Meister sie ins Büro. „Der Herr Leitner hat mir gestanden, dass Sie einen Schaden gefunden haben, den er nicht gesehen hat.“ Malú nickte. „Eigentlich muss er sich schämen dafür. Aber ich weiß, dass er ein guter Mann ist – und das heißt, Frau Pe… äh, Malú, Sie sind noch besser. Wenn es ohne weiteres ginge, würde ich sagen, lassen Sie die Schule sausen und fangen Sie hier an.“ „Ich will den… die Mittlere Reife erst machen.“ „Verstehe ich. Es ginge eh nicht ohne weiteres. – Aber eines geht: Ich brauche immer wieder zusätzliche Kräfte, jetzt im Winter zwei Stunden ungefähr die Woche, im Sommer können es dann auch vier oder mehr werden. Könnten Sie sich das vorstellen? Acht Euro pro Stunde?“ Malú musste sich die Frage wiederholen lassen, weil sie glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. „Wenn Papa sagt, ich darf, gerne.“ „Klar, Ihre Eltern müssen zustimmen. Schwarzarbeit gibt es bei uns nicht. Ich gebe Ihnen das Formular mit.“   Sie konnte es kaum erwarten, bis sie Feierabend hatte und mit ihren Eltern darüber reden konnte. „Ich will ja vielleicht Maschinenbauingenieurin werden, da kann ich auch die praktischen Erfahrungen bekommen“, erklärte sie ihrem Vater. „Und es ist gutes Geld.“ „Weißt du, ob du das mit dem Abschluss der Realschule machen kannst?“ „Ich muss danach auf eine spezielle Schule, die heißt Fachoberschule, dann darf ich studieren. Das habe ich schon im Internet gesehen.“ Der Vater stand auf und umarmte sie. „Chichita, du weißt, was du willst, das gefällt mir! Und wenn dein Chef so zufrieden ist, dass er dir das von sich aus anbietet, dann bin ich stolz auf dich und werde es natürlich erlauben..“ Er ging aus dem Raum, kam mit einer Flasche Wein und zwei Gläsern zurück und goss diese voll. „Auf dich, Kollegin!“ Danach rief er laut: „Lola!“ Die Mutter, die im Bad beschäftigt gewesen war, kam ins Wohnzimmer. „Hör zu, was für eine Tochter wir haben!“ Die Mutter umarmte und küsste Malú, um ihr zu gratulieren. „Aber, klar, erst die Schule, dann die Arbeit, dann alles andere“, sagte sie ernst. „Es wird nicht einfach für dich.“ „Ich glaube, sie müssten ihr erlauben, die Prüfung noch einmal zu machen, wenn es nötig wäre“, meinte der Vater. „Stell dir vor, da ist sie das erste Jahr in Deutschland und muss die gleiche Prüfung machen wie Kinder, die sechzehn Jahre hier gelebt haben. Das wäre nicht gerecht – und die Deutschen sind streng, aber gerecht.“   Bei allem Ehrgeiz stand für Malú selbst das zusätzliche Gehalt im Mittelpunkt. Sie hatte nun nicht nur einen gut verdienenden Vater, sondern, wenn es gut ging, neben ihrem Taschengeld mindestens 70 Euro im Monat selbst verdientes Geld. Am Donnerstag brachte sie den Vertrag mit nach Hause, ihr Vater unterschrieb, sie brachte das Papier mit zur Arbeit und noch am Freitagabend erstand sie ein Paar Stiefeletten, die von 59 auf 29 Euro heruntergesetzt waren, und drei verschiedenfarbige Fläschchen Nagellack. Geld würde für sie so schnell nicht wieder das gleiche Problem werden wie in Spanien.   Auch Lea, die im Praktikum als MTA gearbeitet hatte, aber weniger erfolgreich gewesen war, gratulierte ihr. Am Samstagabend ging sie mit Tim, einem Lehrling in ihrer Firma, aus, doch dieser erwies sich als sehr schüchtern, wenn sie auch merkte, dass sie ihm etwas bedeutete. Nun ja, sie würden sich öfter sehen und offenbar waren Männer in Deutschland entweder schüchtern oder wurden unverschämt. Gegen das zweite konnte sie sich wehren, mit dem ersten musste sie auch lernen, umzugehen.  Die übrigen Mitschüler brachten Malú den gleichen distanzierten Respekt entgegen wie Lea. Auch die, die es nicht gesehen hatten, wussten von ihrem Kampf gegen Murat.   Auch mit ihren ersten Schulaufgaben konnte Malú zufrieden sein: In Mathematik hatte sie eine Zwei, in Deutsch eine schwache Drei, wobei allerdings Grammatikfehler noch nicht voll gewertet wurden, und selbst in Englisch schaffte sie eine Vier. In Physik und Chemie brachte sie in den ersten Exen sogar Einser nach Hause.   Carlos sprach zu Hause so wenig wie möglich mit seiner Schwester, die ihm zum einen als leuchtendes Beispiel vorgehalten wurde, zum anderen ihn problemlos zusammenschlagen könnte, wenn sie wollte. Überhaupt hielt er sich so selten wie möglich zu Hause auf und brachte auch keine Freunde mit. Nach einer versiebten Zwischenprüfung im Deutschkurs drohte der Vater, ihn nach Spanien zurückzuschicken und dort sich selbst zu überlassen. „Das darfst du nicht“, meckerte Carlos. „Du musst mir die Ausbildung zahlen.“ „Ich zahle dir eine Ausbildung, wenn du eine machst. Wenn du dich nicht anstrengst, gibt es auch kein Geld. Und wehe ich höre noch einmal, dass du geschwänzt hast.“ „Am 28. November werde ich 18 und dann darf ich selbst entscheiden.“ „Und ich, das heißt, Mama und ich, dürfen entscheiden, ob wir dir weiter Taschengeld geben und ob wir dich wirklich eine Geburtstagsparty feiern lassen – noch ist das hier unsere Wohnung. Also reiß dich zusammen, Chico!“   Diese Mahnung bewirkte, dass er im Oktober und November, zumindest soweit Malú es mitbekam, regelmäßig den Deutschkurs besuchte und auch seine Aufgaben erledigte. Manchmal bat er sie sogar, seine Arbeiten zu korrigieren oder ihn abzufragen; sie grinste über den unterwürfigen Ton, den er dabei anschlug.   Am 28. November wurde Carlos 18. Die Eltern schenkten ihm ein Tourenrad, wobei Malú ihnen das Versprechen abnahm, spätestens zu Dreikönig ein gleichwertiges Fahrrad zu bekommen. Für den folgenden Samstagabend hatte er einige Freunde eingeladen. Malú half der Mutter bei der Vorbereitung von Essen und putzte gemeinsam mit ihr und Carlos die Wohnung; dies war unter anderem ihr Geburtstagsgeschenk. Die Eltern wollten am Abend weggehen: „Wir wollen nicht stören“, meinte der Vater. „Allerdings, Chico, denk daran und sag das auch deinen Freunden: Rauchen nur in der Küche und am Balkon und zum Essen setzt ihr euch an die Tische. Dieser Teppichboden in Deutschland ist viel schwerer sauberzumachen .“ Malú hatte mit Carlos‘ großzügiger Erlaubnis Tim eingeladen und sagte ihren Mitlöwinnen ab. Wenn sich die anderen schlecht benehmen sollten, könnte sie immer noch mit Tim weggehen. Auch die anderen Löwinnen wollten diesmal getrennt unterwegs sein: Laura würde mit ihrem Freund ausgehen, Lea und Lisa wollten getrennt auf Beutesuche gehen.   Für Malú wurde der Abend zu einer einzigen Enttäuschung: Tim kam nicht und Carlos‘ Freunde wurden nach dem dritten oder vierten Glas Schnaps zudringlich. Nur einer war mit Freundin gekommen und die Freundin schnell verschwunden, als die Party begann, auszuarten. Malú stellte auf Nichtverstehen, als einer der Jungen begann, sie anzuquatschen. Als einer versuchte, ihr das Top auszuziehen, schlug sie zu. „Lass mich los, ja! Sonst gibt es Prügel!“ „Oho, sie wird wütend. So gefällst du mir!“ Er versuchte, sie zu packen. Sie brachte ihn mit einem ihrer gefürchteten Tritte sofort zu Fall. „Ui, die wehrt“, kommentierte ein großer, bulliger Kerl. „Ich halte sie und wir alle können, ja?“ Malú sah sich um: Wenn die Jungen ernst machen würden, hätte sie kaum eine Chance gegen alle. Sie rannte in ihr Zimmer, zog sich Stiefel und Jacke an, schlug und trat sich blindlings durch den Gang bis zur Wohnungstür und lief hinaus auf die Straße. Draußen zog sie ihr Handy und rief Lea an. „Ach du Scheiße!“, kommentierte die Freundin. „Pass auf, ich geh auch heim. Heute war ziemlich Tote Hose. Die Typen, die sich für mich interessiert haben, waren bloß Ersatzteile. Treffen wir uns in einer Viertelstunde, zwanzig Minuten bei mir.“   Malú weinte sich erst minutenlang an der Brust ihrer Freundin aus. Lea streichelte ihr lange über den Kopf, ehe sie mit Vorschlägen kam. „Ich versteh, wenn du keinen Bock hast, heimzugehen“, sagte sie schließlich. „Die Couch hier kann man zum Bett umbauen. Wir können noch einen Wein miteinander trinken und schauen, ob wir einen guten Film im Internet finden oder was spielen. Auf der anderen Seite: Wenn eine Löwin angegriffen wird, kämpfen alle Löwinnen. Und eine Löwin lässt nichts auf sich sitzen.“ „Die sind sieben und wir sind zwei.“ „Und die sind blau und können nicht richtig kämpfen. Ansonsten hätten sie anders reagiert. Ich ruf mal die zwei anderen an. Wahrscheinlich würden wir sogar zu zweit gewinnen, zu dritt oder viert aber jedenfalls.“ Lea nahm sofort ihr Smartphone. Einmal hatte sie Erfolg: „Okay, elf oder halb zwölf  bei mir. Ich schick der Laura noch ne SMS.“ – „Ja, wenn dir das nichts ausmacht, noch lieber.“ „Echt eine Liebe, unsere Lisa“, kommentierte sie, nachdem sie den Anruf beendet und die SMS geschrieben hatte. „Hat sogar einen Kerl gefunden, lässt sich aber eher heimbringen und ist so um halb elf da. Das heißt, wir haben noch ne Dreiviertelstunde. Du, ich geh mich mal abschminken und umziehen, ich hab keine Lust im Diskooutfit zu kämpfen. Kannst schon mal nach einem Film suchen oder dir einen Wein holen. In der Küche, neben dem Kühlschrank.“ „Lieber nicht, ich hab schon einen Wodka Cola getrunken. Erst danach. Aber Film ist gut.“ Sie hatten noch nicht viel vom Film gesehen, als es läutete. Auch Lisa hatte sich umgezogen und nur ihre Frisur und ihre Fingernägel verrieten, dass sie zu Beginn des Abends andere Pläne gehabt hatte als eine Schlägerei. „Danke, dass du den Jungen fallen lassen hast wegen mir“, sagte Malú und umarmte sie. „Kein Thema. Ich wär sowieso irgendwann heimgegangen. Wenn man den ganzen Abend mit dem erstbesten Kerl verbringt, meint er gleich, du bist leicht zu haben. So kann ich testen: Wenn er sich nochmal rührt, dann gern und dann wird’s auch länger mit ihm.“ „Also los, Mädels!“, kommandierte Lea.   Als sie am Ziel ankamen, hörten sie schon von unten, dass die Party noch in vollem Gang war. Die Frau im Erdgeschoß öffnete die Tür und drohte mit der Polizei, sollten die Mädchen nicht das Haus verlassen. „Ich bin rauf, hab gesagt, sie sollen leiser machen und die haben mich beschimpft und Bier auf mich geschüttet. Ich mein, ich war auch mal jung, aber so nicht.“ „Hören Sie, Frau Peters“, antwortete Malú. „Die Polizei kann gegen mich nichts machen. Ich wohne hier und diese sind Freundinnen. Und ich verspreche, in einer halben Stunde es ist leise. Wenn nicht, rufen Sie nochmal Polizei.“ „Was sagst du da?“ „Dass es in einer halben Stunde leise im Haus ist, also zumindest, dass man hier unten nichts hört“, bestätigte Lea. „Wenn nicht, dürfen Sie mich anzeigen. Ich heiße Lea Winter und wohne in der Schillerstraße 20.“ Frau Peters schüttelte den Kopf, als die Mädchen die Treppe hinaufstiegen. Malú sperrte die Wohnungstür auf. Inzwischen waren insgesamt acht Jungen und drei vom Aussehen her ziemlich tussenhafte Mädchen in der Wohnung. Einer umarmte gleich Lisa. „Komm, Süße, lass uns einen trinken.“ „Die kannst du haben. Aber die Kleine bums‘ ich“, rief ein anderer und lief auf Malú zu. „Gleich bumst’s woanders!“ Lisas Faust knallte gegen die Schläfe des Jungen, der sie angegrapscht hatte und dieser fiel tatsächlich mit einem lauten „Bumms!“ auf den Boden. Malú beförderte einen weiteren Jungen mit einem Tritt ebenfalls dorthin. Der übergab sich sofort. Lea, Lisa und Malú flogen daraufhin regelrecht durch die Luft und jedes Mal landete eine von ihnen mit dem Fuß, der Faust oder der Handkante an einer empfindlichen Stelle eines Jungen. Viermal genügte bereits der erste Schlag, nach gut einer Minute lagen sieben der acht Jungen k.o. geschlagen am Boden. Nur der bullige Kerl, der Malú vor deren Flucht hatte festhalten wollen, beschäftigte Lisa mehr als eine halbe Minute. Als er sich aber allen drei Mädchen gegenüber sah, versuchte er, zu fliehen, doch Lea schlug ihn mit einem Handkantenschlag ins Genick zusammen. Zwei der drei anderen Mädchen hatten rechtzeitig die Flucht ergriffen, die dritte hatte sich verletzt, als ein Junge gegen sie gefallen war. Sie schrie und schimpfte. „Hör zu, halt’s Maul und hau ab!“ drohte Malú. „Du hast gesehen, was wir mit den acht Jungen gemacht haben. Dir passiert bei drei dasselbe. Eins! – Zwei! “ Die andere lief davon, so schnell sie auf ihren Highheels konnte. Malú stellte die Musik ab und wollte neue suchen, doch Lea meinte, erst müsse es einen Löwinnentrunk geben. „Was ist das?“ „Ein Glas gemeinsam, jede von uns mit einem Fuß auf einem von den Kerlen. Das gehört sich so nach einem Sieg.“ Sie schoben drei Jungen so durch die Wohnung, dass sie in der Küche, wo Carlos das Laptop postiert hatte, posieren konnten. „Nur dieser Billigwodka. Wenn sie wenigstens Geschmack hätten!“, schimpfte Lea, als sie die Gläser eingoss. Sie mischte den Wodka mit Cola, gab ihren Freundinnen Gläser und sie tranken mit je einem Fuß auf einem der Besiegten, Malú natürlich auf ihrem Bruder.   Kurz darauf wurden die ersten Jungen wieder munter. „Die Party kann weitergehen!“, bestimmte Malú. „Aber zu unseren Bedingungen, mit unserer Musik und wir entscheiden, wer uns anfassen und wer hierbleiben darf.“ Die Jungen berieten sich und zogen es vor, aus der Wohnung zu verschwinden.   Malú lief daraufhin durch die Wohnung und dokumentierte mit Leas Smartphone die Schäden. Als sie in ihr Zimmer kam, schrie sie auf und rannte in die Küche. „Mein Bett ist vollgekotzt, meine ganze Schminke kaputtgemacht, der Schrank mit meinem Lippenstift vollgeschmiert und mein schönster Rock mit Nagellack vollgeschüttet. In der restlichen Wohnung sieht es kaum besser aus.“ Sie goss sich ein Glas Wodka ein, trank es pur und in einem Zug und zündete sich eine Zigarette aus einer der herumliegenden Schachteln an. „Pass auf, Süße!“ Lea legte ihr den Arm um die Schulter. „Du schläfst heute Nacht bei mir. Leg deinen Eltern einen Zettel hin, dass du es hier nicht mehr ausgehalten hast.“ „Danke, das ist lieb! Und Carlos bekommt morgen noch einmal eine spezielle Behandlung.“ „Das ist klar. Aber erst einmal gehen wir zu mir, hören vielleicht noch ein bisschen Musik und unterhalten uns, schlafen, frühstücken morgen ordentlich und dann kannst du heim und es ihm zeigen.“ „Hoffentlich glauben meine Eltern, dass wir nichts damit zu tun haben.“ „Malú, ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein Junge zugibt, dass er und sieben andere von drei Mädels k.o. geschlagen worden sind“, meinte Lea. „Außerdem kannst du ja sagen, du hättest wohl nicht deine eigenen Sachen ruiniert. Zwei Flaschen, zwei oder drei Gläser und eine Schüssel sind während der Prügelei kaputt gegangen, den Rest haben die Jungs alleine geschafft. – Aber mach ein Video davon, was du morgen mit deinem Bruder treibst! Ich will das sehen und die Laura und die Lea sicher auch.“ ------------------------------------------------------------------------------- -------------------------------------------------------- Und jetzt ihr: Ich bin ein bisschen stolz, dass meine Story gestern die meistgelesene nichtenglische war.   Aber: Hat es euch auch gefallen? Und wie soll es weitergehen? Soll Lauras Freundin zur fünften Löwin werden? Wenn ja: Soll sie spezielle Eigenschaften haben? (dick, dünn, schüchtern, Ausländerin, gute / schlechte Schülerin) Soll Malú etwas mit Murat, Tim oder jemand ganz anderem anfangen? Ich bin für Vorschläge offen. Propertiusweb.de